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Joachim Kalka's review of 'An Unfortunate Woman' (German)
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Schnee, der auf Worte fällt. Mild amüsiert: Richard Brautigans Landkarte des Lebens

von Joachim Kalka?

"Ich schreibe ja über etwas sehr Ernstes, aber tue es umständlich ..." Das sehr Ernste, das Richard Brautigans kleiner, leichter, geheimnisvoller Text "Eine unglückliche Frau. Eine Reise" umkreist, ist das Faktum, daß sich die Frau des Titels aufgehängt hat. Aber vielleicht steckt in dieser Formulierung noch mehr, nämlich der Hinweis, daß Brautigan hauptsächlich über sein Schreiben schreibt und darüber meditiert, wie unmöglich und unverzichtbar es ist. Damit ist diese zwei Jahrzehnte nach dem Tod des Autors erscheinende Publikation, wie der Verlag schreibt, "eine Art literarisches Vermächtnis". Brautigans Schreiben ist ein Spiel, aber ein Spiel, das unbedingt sein muß ("und meine Intelligenz hatte etwas gefunden, auf das sie sich konzentrieren konnte"); der in einer Art Tristram-Shandy-Tonlage? inszenierte Text aus Kontingenz und geheimer Zwanghaftigkeit verbirgt hinter seiner kunstvollen Geschwätzigkeit etwas bitter Notwendiges.

"Aber zuvor kommt hier eine abrupte Abschweifung, weil ich irgendwie das Gefühl habe, wenn ich das Folgende nicht schreibe, dann wird es nie geschrieben werden, also haben Sie Geduld mit mir." Ein solches Parlando könnte sehr rasch unerträglich werden, und es ist fast ein Rätsel zu nennen, weshalb und wie es Brautigan gelingt, den Leser mit dem hartnäckigen Bericht von der Mühseligkeit seines Schreibens und der Zwecklosigkeit seiner Reisen, mit seinen petites perceptions aus Bars und Flugzeugen zu fesseln und zu bewegen. Sein Text ist eine beiläufige Absage an alles klassische Erzählen, aber bei Brautigan hatte der Haß der Avantgarde auf die Traditionalität immer schon die Gestalt einer milden Amüsiertheit: "Er gehört zu den Menschen, die in einem normalen Buch, leider nicht in diesem Buch hier, zu einer unvergeßlichen Figur entwickelt würden."

Ein japanischer Friedhof auf Hawaii, der Iphigenie-Mythos, die hartnäckige Rekonstruktion der "Kalenderlandkarte meines Lebens", die Gewitter über der Farm in Montana — diese Topoi sind Bruchstücke, kleines Treibgut, dem der Leser zusehen darf, wie es im stockenden Erzählfluß des Autors dahintrudelt, der wiederum von den Besuchern eines ungeheizten Kinos in Toronto schreibt: "menschliches Treibgut, das sein Leben genauso verbummelte wie ich". Nicht nur das Bewußtsein des Lesers, daß der Autor kurze Zeit nach Abschluß dieses Textes als einsamer Alkoholiker Selbstmord beging, gibt diesem scheinbar so friedfertigen Text eine kleine Unheimlichkeit. Das Gefühl, das großen Teilen der Avantgardeliteratur eignet: daß der Autor den Erzähler aus Panik endlos reden läßt — dieses Gefühl drängt sich trotz der großen Sanftheit von Brautigans Stimme auch hier auf.

"Manchmal schneite es draußen, gleich hinter unseren Worten." Das Buch ist sentimental, aber von einer einzigartigen, federleicht traurigen Sentimentalität, einer sozusagen demütigen Sentimentalität. "Der Verlauf dieses Buches unterstreicht nur meine tägliche Ratlosigkeit ... Aber ich gebe nicht auf." Die Ãœbersetzung von Günter Ohnemus? — der fast das ganze Werk von Brautigan ins Deutsche übertragen hat und als Erzähler selbst von der Technik Brautigans tief beeinflußt ist — ist kongenial. Der Maro-Verlag hat hier seine Reihe großer Fundstücke aus der zeitgenössischen amerikanischen Literatur um einen erstaunlichen Text erweitert.


Frankfurter Allgemeine Zeitung 227
Montag, 30. September 2002, S. 36.
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