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Ernst Petz' review of 'The Abortion' 'The Hawkline Monster' and 'Dreaming of Babylon' (German)
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Der Nobelpreis schien ihm sicher: Ein toter Star versucht die Auferstehung - Richard Brautigan erscheint endlich auf Deutsch

von Ernst Petz?

Fünf Wochen lag Richard Brautigan im Herbst 1984 tot in seinem Haus in Bolinas?, fünf Wochen dauerte es, bis seine "Freunde" ihn fanden: Hätten die Batterien des automatischen Telefonbeantworters nicht auch ihr Leben ausgehaucht... wer weiß, ob er heut' schon begraben wäre.

Brautigan war sicher, daß er einst den Nobelpreis für Literatur "gewinnen" würde (ein anderes Wort ist unangebracht), eine erstaunliche Sicherheit für einen, der ein paar Jahre vorher noch zu feig und zu schüchtern gewesen war, seine Texte öffentlich vorzulesen, den entsetzliche Angst vor negativer Aufnahme, vor Kritik, schüttelten: Als Zwanzigjähriger hatte der 1935 Geborene ein Mädchen einmal einen Blick in ein Manuskript werfen lassen, es hatte leise Kritik gewagt ~- und Rlchard war zerschlagen, wußte nicht, was tun. Dann rannte er zur Polizei und "stellte" sich. Die konnten mit einem, der nichts angestellt hatte, nichts anfangen, schickten ihn wieder weg. Richard ging nicht weit, nur vor die Wachstube — und schmiß den Polizisten ihre Fenster ein. Jetzt hatte er etwas Handgreifliches verbrochen, jetzt durfte er eine Woche sitzen und nicht nur das: am "Heiligen Abend" 1955 wurde ihm amtlich bescheinigt, daß er paranoid sei. Und schizophren.

Im Jahr darauf ist er Telegrammbote in New York, schreibt und schreibt und zeigt niemandem mehr seine Texte — vor allem keinem aus der Beat Generation?: Die hatten es alle schon geschafft — zumindest verstanden sie es großartig, so zu tun als ob. Er läßt sich einen Schnurrbart wachsen um Mark Twain? noch ähnlicher zu sehen, 1961 kauft er mit seiner ersten Frau einen Wohnwagen, auf Touren durch die Wildnis entsteht "Trout Fishing in America", jetzt bei Eichborn auf Deutsch erschienen: "Forellenfischen in Amerika". Der Roman ist für Brautigan "nichts anderes als der Ausdruck eines menschlichen Bedürfnisses", er wollte, ist ja selbstverständlich, "immer schon" ein Buch schreiben, "das mit dem Wort Mayonnaise aufhört". Und er beschreibt Blicke aus "Augen wie die Schnürsenkel eines Cembalos", besucht jene "ewige 59ste Sekunde, wenn sie zur Minute wird, und dann irgendwie dämlich aussieht", folgt einem Bach, weil ihm sein Lauf gefiel, "und die Art, wie er sich bewegte".

Die Kritiker wußten nicht, ob's ein Genie oder ein Wahnsinniger geschrieben hatte — jedenfalls wurden innerhalb kurzer Zeit 2 Millionen Exemplare verkauft. "Es war die Art Buch", schreibt Rolling Stone, "die Geist und Ton einer Generation perfekt einfing."

Geist und Tonfall, die Art zu denken, sich auszudrücken: Brautigan hatte das drauf, was Millionen junger Leser suchten — und was den heute angegrauten Jugendlichen von damals im Gefängnis Alltag heute als Placebo dient, als Flucht in eine Zeit, in der träumen noch hoffen hieß.

Brautigan wird zu der Zelt ein Superstar, in der die Hippies San Franzisko überschwemmen; er spricht Ihre Sprache — aber nicht nur das, unbekümmert und sorglos bricht er Regeln und Tabus, schert sich nicht um den American Way of Life mit seinem verstockten Konservativismus, um die Tradition des Amerikanischen Romans...

So kam es, wie es kommen mußte: die Kritik beschloß, ihn zu ignorieren. Dem kometenhaften Aufstieg, den paar Jahren im Elfenbeinturm auf der Höhe des Ruhms folgte ein tiefer Fall, gebremst nur durch überraschende Erfolge in Japan, aus dem Bewußtsein verdrängt durch exzessiven Genuß von Alkohol: Brautigan hatte panische Angst vor Drogen; irgend einen Defekt muß man aber in jener Gesellschaft vorweisen können, also trank er; auch als er 49jährig in den Selbstmord floh, war er "fucked up" ... "When wasn't he?" fragt eine letzte Freundin zurück, die letzte, die ihn telefonisch erreichte.

Nonkonformität wird in Amerika hart bestraft, noch härter aber hier bei uns, wo Schubladisierungswahn und Germanistendünkel ex cathedra das Sagen haben: es ist dem Eichborn-Verlag daher nicht hoch genug anzurechnen, daß er "nach und nach alle Bücher Richard Brautigans in deutscher Übersetzung vorlegen" wird. "Die Abtreibung. Eine historische Romanze 1966" machte im August 1985 den Anfang, kongenial übertragen von Günter und Ilse Ohnemus?.

Held des Romans ist ein 31jähriger Bibliothekar in einer wahrhaft seltsamen Bibliothek: "Wir behalten die Eingangsbücher hier, in denen wir jedes angenommene Buch notieren, aber die Bücher selbst befinden sich zum größten Teil in hermetisch verschlossenen Höhlen in Nordkalifornien. "In dieser Bibliothek leiht auch niemand Bücher aus: hierher bringen Autoren ihre Manuskripte, die sonst niemand will, über Blumenzüchten bei Kerzenlicht in Hotelzimmern etwa, oder 'Immer schön ist die Liebe', den Weltrekordinhaber in Ablehnungen, 459 Verlage wollten es nicht; oder 'Elche' von Richard Brautigan, Der Verfasser war groß und blond und hatte einen langen flachsgelben Schnurrbart... Einfach noch'n Buch', sagte er zum Inhalt."

Und dann kommt plötzlich Vida (Veida), fühlt sich nicht wohl in ihrem exorbitant schönen Körper, "Ihre Formen waren zum Äußersten dessen entwickelt, wovon der Mann der westlichen Hemisphäre in unserem Jahrhundert träumt;... sie war so schön, daß die Werbeleute einen Nationalpark aus ihr gemacht hätten, wenn sie sie in die Finger bekommen hätten..." Sie bringt auch ein Buch, es handelt von ihrem Körper, und "davon, wie schrecklich es ist, wenn man den Leuten so ausgesetzt ist..." Ich kann nirgendwohin gehen, ohne Pfiffe, Gegrunze, Gejohle... zu provozieren".

Leute fahren mit Ihrem Wagen gegen Züge, wenn sie neben der Straße steht; ein Freund findet sie so hübsch, daß er "zehn Meilen weit barfuß durch Schnee und Eis latschen würde, bloß um in deiner Scheiße stehen zu dürfen."

Sie lieben einander, Geld haben sie keins, in Amerika leben sie — also müssen sie nach Mexiko zur Abtreibung, von San Franzisko an in einer erstaunlichen Geschwindigkeit, "mühelos hatten Wir Hunderte von Meilen zurückgelegt, als wären wir von überschwenglichen Gedichten gelenkt und geleitet worden". Ein tragisches Brautigansches Bild auch dies: "Nach einer Weile waren wir so entspannt, daß man uns beide als Gänseblümchen vermieten hätte können", oder "ihr Lächeln war über ihrem Kleid. Es sah aus wie eine Blume", oder die erstaunliche Feststellung bei der Vorbereitung der ersten Liebesnacht: "Mädchen bestehen wirklich aus einer Menge von Einzelteilen."

Eine Freundin stellte einmal fest, Brautigan könne nur versuchen, Prosa zu schreiben, ihm gerinne alles zum Gedicht; es ist nicht ganz so: aber dies Poetische bekommt der Leser der Romane gleichsam als Super-Bonus gratis mitgeliefert. "Frank", schrieb Brautigan in der Widmung, "komm rein — lies Roman — liegt auf'm Tisch im Wohnzimmer. Bin in ungefähr zwei Stunden wieder da. Richard." Länger braucht man nicht, aber es sind zwei Stunden, die sich lohnen. Man kann ein Brautigan-Buch nicht aus der Hand legen, bis man durch ist: Brautigan macht süchtig.

1973, in dem Jahr, als Brautigan fest davon überzeugt war, er würde den Nobelpreis "gewinnen", beschloß er auch, jedes Jahr einen Roman in einem anderen Genre zu schreiben. So entstand der jetzt ebenfalls von Günter Ohnemus kongenial übertragene "seltsame Western mit 2 Killern, 2 schönen Frauen & 1 Monster" (Untertitel), so entstand "Das Hawkline-Monster".

Helden dieses "gothic western" sind zwei Berufskiller, vorgestellt werden sie im Hawaii des Jahres 1902, sie beobachten ein potentielles Opfer, aber... "ich kann's nicht tun... er ist schon ein Schweinehund", aber "ich kann doch nicht einen Mann erschießen, der gerade ihrem Kind das Reiten beibringt, ich bin nicht so gemacht". Bei Othello war's noch das Beten. Jedenfalls ziehen die beiden ab.

Politische Anspielungen sind bei Richard Brautigan selten, desto wirkungsvoller die wenigen: Auf Hawaii kaufen die beiden ein amerikanischen Exsoldaten den Revolver ab, der war bisher auf Philippinen Aufständische abschießen, jetzt ist's vorbei mit dem lukrativen Job... ein solcher winkt den beiden Killern: die Hawkline-Schwestern dingen sie zur Erledigung eines im Keller ihres Hauses lebenden Monster, das schon den Vater verschlungen hat. Weit müssen sie gen Westen reiten, "sch1ieß1ich stießen sie auf eine menschliche Spur — es war ein Grab" und kommen an: "die Straße endete ganz abrupt, wie die Unterschrift eines Sterbenden, der in letzter Minute ein Nottestament diktiert hatte", und das Abenteuer nimmt absurd und witzig, gleichnis- und märchenhaft seinen schicksalsschweren Verlauf — nicht ohne hohe Moral: "Es war besser, tot zu sein, als so weiterzuleben, als Teil des Bösen."

"Ich hatte gerade einen Fall übernommen, für den ich meine Pistole brauchte, aber kurz zuvor waren mir die Patronen ausgegangen. Der Klient ... wollte, daß ich mit einer Pistole aufkreuzte, und ich wußte, daß eine leere Pistole nicht das war, was er sich vorstellte. — Was sollte ich machen?"

Schier unüberwindlich türmen sich die Probleme vor dem bedauernswerten Helden von Brautigans Detektivroman "Träume von Babylon", ebenfalls bei Eichborn erschienen.

Es gilt also, Patronen zu suchen, Patronen aufzutreiben. Und zunächst die Zimmerwirtin zu überlisten, die so gern über ihre toten Männer redet, "besonders über den, der Klempner gewesen war. Sie konnte sich vor lauter Begeisterung nicht mehr fangen, wenn sie erzählte, wie gut er Heißwasserboiler reparieren konnte..." aber sie will Geld für die Miete, und Geld ist gar keins da, dafür ein überaus leerer Magen und bloß ein Kühlschrank, aus dem Dschungelgestrüpp nach draußen dringt — überhaupt ist die "Wohnung so dreckig, daß ich vor kurzem alle Fünfundsiebzig-Watt-Birnen durch Fünfundzwanziger ersetzt habe, damit ich nicht alles dauernd vor Augen haben muß" — eine zweifellos praktische Variante des Verdrängungsmechanismus. Der weniger praktische ist der mentale Fluchtpunkt des Detektivs, das Arno Schmidt'sche "längere Gedankenspiel": Wenn im Leben gar nichts mehr weitergeht, träumt er von Babylon, träumt sich nach Babylon, mit einer tollen Freundin, träumt von Feinden, die er dort erfolgreich bekämpft, den gnadenlosen Ming aus Flash Gordon etwa, oder Fu Man Chu oder Mandrake, den Zauberer. Und wenn dann im Leben einmal etwas ginge, träumt er gerade von Babylon — drum geht nie was, ein Teufelskreis, wer kennt das nicht.

Brautigan katapultiert den Leser in hypnotischer Lockerheit mit handfestem Sprachwitz von absurden Gleichnissen in groteske Bilder, eine amüsante Lektüre, die, kaum hat man das Buch aus der Hand gelegt, zu sickern beginnt, zu rumoren: Brautigan knallt dem Leser seine Stories in Aug' und Hirn, Rasanz, Sprunghaftigkeit und gespielte Naivität verschleiern die Tiefe, das Fabelhafte, das Entlarvende.


Wiener Zeitung? 21.08.87



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